Wird die Menschheit angesichts der herausfordernden Weltenlage bewusster, ändert sich überhaupt etwas dadurch oder wird alles nur schlimmer?

Wir stehen vor enormen, die Menschheit weltweit bedrängenden Herausforderungen. Die Auseinandersetzung darüber, ob wir sie meistern oder mehr oder weniger scheitern werden, ist hier nicht mein Anliegen. Es geht mir um die Frage von Bewusstwerdung und, im weitesten Sinne, um die Entwicklung des Lebens als evolutionärer Prozess angesichts dieser großen Herausforderungen.

Unser Planet hat sich bei der Entstehung des Universums in Folge von Ausdehnung erster winziger Energieteilchen entwickelt. In der Wissenschaft anerkannt ist die Urknall-Theorie. Aus dem Nichts entstand ein Ursprungspunkt, in dem alle vorhandene Energie gebündelt gewesen sein muss (*1). Diese unvorstellbar intensiv gebündelte Energie dehnt sich bis heute aus. Das Sonnensystem befindet sich immer noch in dieser Bewegung oder, anders ausgedrückt, ist immer noch im Entstehen. Wir können die Frage, warum das Universum zu existieren begann, nicht beantworten. Die Entwicklung des Universums ist ein lebendiger Prozess voller Herausforderungen. Jede evolutionäre Entwicklung braucht Herausforderungen. Dies gilt für jede Lebensform, nicht nur für uns Menschen.

Was passiert, wenn Menschen oder gar ein Großteil der Menschheit mit extremen  Herausforderungen konfrontiert werden? Eine erste Reaktion ist oft Angst. Die Angst vor Veränderung, dem Unbekannten, die Angst vor Kontrollverlust und Leid und letztendlich vor dem Tod. Die Angst kann uns blockieren und verwirren, aber sie ist auch Antrieb und somit Motor unserer Entwicklung. Wir suchen Lösungen. Doch unser Verstand und unsere Gefühle können vollständig von der Angst übernommen werden! Wir sind dann meistens äußerst dysfunktional, oft ohne dies zu erkennen.

Angst ist Reaktion auf äußere Bedrohung, zum Beispiel auf die Klimaerwärmung, die Pandemie oder unser persönliches Schicksal. Weitaus häufiger wird sie ausgelöst durch unsere konditionierten Angstmuster. Die bestehen aus Beurteilungen und Bewertungen, aus gedanklich-emotionalen Geschichten der Vergangenheit oder unseren Phantasien über die Zukunft. Wenn wir Angst haben reagieren wir mit Abwehr, mit immer stärker werdenden Angst-Abwehrreaktionen, in die wir uns verstricken und immer weiter ins Unbewusste ziehen lassen. Dadurch bedingt erleben wir Leid. Wir können nachts nicht schlafen, unsere Gedanken kreisen, wir sind voller Sorgen, wir denken uns aus, was alles auf uns zukommen könnte. Unser Denken besteht dann zum größten Teil aus Vorstellungen. Wir sind also gar nicht hier, wo das Leben gerade stattfindet, sondern wollen die Zukunft kontrollieren. Konstruktives Denken soll im Alltagsdenken gerade mal 5 Prozent ausmachen, der Rest sind gedanklich-emotionale Wiederholungsschleifen.

Unsere Persönlichkeit besteht aus unserer Vorstellung in Form konditionierter Gedanken-Gefühls-Muster, unserem Ego. Die Ego-Persönlichkeit erklärt, bewertet, beurteilt – benennt die Welt und fühlt sich dabei sehr wichtig. Das Ego will für unser Überleben sorgen. Dabei spielt die Angst zu sterben, die größte Veränderung, die uns noch bevorsteht, eine entscheidende Rolle. Sie wird oft als unsere Urangst bezeichnet. Das Ego will diese Urangst, will Leid und Schmerz vermeiden. Das ununterbrochene Denken des Egos und die dazugehörenden Ängste sind zutiefst menschlich. Das hat alles seinen Platz, alles ist Teil des göttlichen Spiels und nichts ist falsch daran. Alles, was geboren wird, wird auch sterben. Das Universum selbst wird sich wieder zusammenziehen und verschwinden. Alles, was erscheint, muss wieder verschwinden und neuem Leben Platz machen, bis auch dieses wieder verschwindet. Wir kennen den Grund der Entstehung des Lebens nicht, es bleibt weiterhin ein Mysterium.

Das Leben kann als eine Art Schule gesehen werden, in der sich alles entfaltet und entwickelt. Experimente in der Pflanzenwelt zeigen die Folgen von Stresseinwirkung und die Entwicklungs-Intelligenz der Pflanzenwelt kann uns nur in Staunen versetzen. Schon einfache Lebewesen reagieren bei Gefahr mit Abwehr, Angriff oder Schwarmverhalten. Wir  Menschen kennen noch wesentlich   komplexere und subtilere Angst-Reaktionsmuster. (*2). 

Wir sind neugierige Wesen und wir lernen gerne –  wenn wir dürfen auch mit großer Freude. Tiefere Entwicklungsprozesse erleben wir aber auch, wenn wir Leid erfahren, wenn wir Fehler machen oder wenn wir scheitern. Die meisten Menschen, die sich auf neue Wege begeben, tun dies weniger während sie gerade erfolgreich und zufrieden sind, sondern wenn sie gescheitert und unglücklich sind und die Situation für sie unerträglich geworden ist. Die meisten Menschen haben tiefere Einsichten und Erkenntnisse wenn sie durch eine Krise gegangen sind.

Wir Menschen sind auf dem Weg von Unbewusstheit zu Bewusstheit. Wenn wir in der Lage sind zum Ursprung zurückzukehren, zu dem, was wir auf tiefster Ebene des Seins sind, tiefer als unsere Persönlichkeit (Ego), findet Bewusstheit statt. Diese stille Räumlichkeit können wir erfahren und wir können uns dieser tiefen Dimension des Bewusstseins gewahr werden. Ganz gleich wie oft wir immer wieder unbewusst sind, dieser gewahr zu werden ist bereits ein Schritt zur Bewusstwerdung.

Im Prinzip kann nicht das Ego-Denken, nicht der Verstand, bewusst werden. Durch die Stille im Denken, die Lücken zwischen den Gedanken, wird sich die Bewusstheit ihrer selbst bewusst. Dies geschieht erst, wenn ausprobiert und erfahren wurde, wenn das oberflächliche, an der Oberfläche erlebte Leben langweilig oder – oft noch mehr – wenn es unerträglich wird. Wenn wir mit unseren Konzepten und Ideen nicht mehr weiter kommen, wenn wir gefangen sind in der Dualität, immer wieder das Gleiche von Gut und Böse erleben, dann beginnen wir in eine andere Richtung zu schauen. Wir gehen dann mit unserer Aufmerksamkeit vielleicht mehr nach innen, spüren die Lebendigkeit unseres Körpers, konzentrieren uns auf die Stille in uns. Wenn der Verstand ruhiger wird, können wir die Welt ganz anders wahrnehmen, wir sehen nicht mehr ausschließlich durch die Ego-Brille. Im Gewahrsein sind wir ohne Bewertungen und ohne Urteile, ohne richtig und falsch. Erleuchtung bedeutet, dass mehr Licht ins Dunkel kommt. Aus dieser lichtvollen Quelle, die die Weisheit des Seins selbst ist, die die Liebe selbst ist, Liebe die bedingungslos ist, finden wir neue kreative Antworten und unsere Handlungen werden in diesem helleren Licht, im Licht des Bewusstseins, erfolgreicher sein.

Ich will noch einmal die Ausgangsfrage stellen: Wird die Menschheit angesichts der herausfordernden Weltenlage bewusster, ändert sich überhaupt etwas dadurch oder wird alles nur schlimmer?

Alle drei Fragen können mit ja beantwortet werden, alle drei Möglichkeiten spielen sich nebeneinander ab. Evolutionäre Prozesse werden immer von Herausforderungen begleitet sein und dadurch das gesamte Leben in Bewegung halten, in der Bewegung der Ausdehnung und des Zusammenziehens, des Werdens und Vergehens, des Ein- und des Ausatmens, der Geburt und des Todes, der Zerstörung und des Neuerstehens. Daran ändert sich nichts.

Viele Menschen werden angesichts der enormen Herausforderungen erst einmal durch ihre Angstreaktionen noch viel unbewusster werden. Stark mit ihrem Ego identifizierte Menschen haben nur die gewohnten Denk- und Verhaltensmuster zur Verfügung und halten daran fest. Ihr angstvolles  Ego übernimmt die Kontrolle. Die Verhaltensweisen werden dysfunktional und die Menschen entwickeln keine kreativen Ideen, die die Not wenden könnten. Wir haben auf dieser Ebene unterschiedlichste Lösungsvorstellungen, begleitet von komplexen Angstmustern. Und damit liegen wir oft im Streit, konkurrieren, wollen Recht haben, werden emotional und führen letztendlich Kriege, kurz gesagt, wir sind durch unsere Angstmuster und die Identifizierung mit unserem Ego gesteuert. All diese Konzepte sind nur sehr begrenzt funktional und kommen früher oder später an ihre Grenzen. Hier können sie dann sehr zerstörerisch werden, sowohl für das Individuum als auch, um ein vielfaches potenziert, durch und für das menschliche Kollektiv.

Und einige Menschen werden deutlich bewusster werden. Wächst die Anzahl dieser Menschen, wird folglich auch das menschliche Kollektiv bewusster werden. Hier ist meiner Meinung nach der Schlüssel für die Bewältigung der vielen Herausforderungen, denen wir ausgesetzt sind, der Weiterentwicklung des evolutionären Prozesses auf dieser Erde. Es braucht einzelne Menschen, die dazu in der Lage sind, dann wächst das Bewusstsein auch im menschlichen Kollektiv. Es ist für unser konkretes Leben, das Leben auf der Erde, das Leben unserer Kinder und deren Kinder nicht egal, ob wir in unseren alten Mustern weitermachen oder bewusster werdend auch bewusster handeln. Wenn wir unbewusst bleiben, noch nicht einmal erkennend, wie unbewusst wir sind, je mehr wir uns immer wieder in der Angst verlieren und immer mehr Menschen davon ergriffen werden, umso ungemütlicher wird es hier auf der Erde sein.

Mein Optimismus lässt mich vermuten, und es gibt Anzeichen dafür, dass einige Menschen nachfolgender Generationen mit kreativerem Denken und Handeln, bewussterem Umgang mit Umwelt und Natur und mit mehr Empathie, die Zukunft besser bewerkstelligen werden. Wenn wir bewusster, achtsamer und mitfühlender sind, wird womöglich auch weniger Leid für die weitere Entwicklung erforderlich sein. Bewusstwerdung geschieht wenn wir still werden, wenn wir uns zurückbesinnen auf unsere Quelle. Wir können Mitschöpfer sein, wenn wir aus dieser Quelle handeln. Wir sind nicht getrennt davon. Wie ein Sonnenstrahl nicht ohne die Sonne existiert, eine Welle nicht ohne den Ozean, ein Traum nicht ohne den Träumenden, das Leben nicht ohne die Quelle des Lebens, so sind wir untrennbar verbunden. Von da kommen wir, existieren nur in Verbundenheit damit und dahin gehen wir zurück. Für unsere momentanen Herausforderungen, individuell wie kollektiv, ist es von großer Bedeutung, wie viele von uns ihre Aufmerksamkeit auf die Quelle des Seins richten und mit dieser Präsenz beruhigend mit Liebe, Mitgefühl und Weisheit auf das Leben einwirken können.

Dich zu entwickeln ist der Wunsch deiner Seele, darin liegt deine größte Erfüllung. Im Zustand des Gewahrseins bist du verbunden mit dem Ursprung des Seins, verbunden mit allem. Darin liegt unsere Zukunft, egal wie lange wir brauchen, wieviel Leid dafür noch nötig ist, wir werden die nächste Stufe der evolutionären Bewusstwerdung erreichen.

In Liebe und Zuversicht,
Notburga Geier

*1   planet-wissen.de
*2  Archetypen der Angst, Varda Hasselmann und Frank Schmolke, Goldmann-Verlag

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert